Von Formen, Materialien und Prozessen

„Lerne von der Geschwindigkeit der Natur: ihr Geheimnis ist Geduld.“

Ralph Waldo Emerson

Isabella Fürst setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit gesellschaftlichen Strukturen auseinander und untersucht unter anderem Aspekte von Gleichberechtigung, Umweltschutz, Klimawandel und Konsumkritik. Mit ihrer klaren, reduzierten Formensprache entwickelt die junge Niederösterreicherin elegante, zeitlose und taktile Keramikobjekte, die sich an der
Grenze zwischen Design und Kunst verorten lassen.

process // idea
Die Natur mit all ihren Phänomenen übt für den Menschen eine große Anziehungskraft aus und ist für viele Künstler:innen der Kunstgeschichte als Inspirationsquelle ein fortlaufendes Thema. Bei Fürst steht in der künstlerischen Praxis neben dem Experimentieren mit Formen das Auffinden von außergewöhnlichen Materialien und Prozessen im Vordergrund, die sie in
ihr Schaffen integriert. Dabei sucht sie immer wieder Anregungen in der Natur. Das hierfür gewählte Ausdrucksmedium ist primär die Keramik, diese fasziniert die Künstlerin aufgrund ihrer materiellen Vielfältigkeit und der Diversität der verschiedenen Bearbeitungsschritte. Oft ist das Ergebnis im Vorhinein nicht absehbar, sondern erst im Zuge der Arbeit zu antizipieren.
Dies kann manchmal für die Künstlerin frustrierend wirken, ermöglicht aber zugleich die Freilegung von Neuem im Prozess. Für Fürst liegt hier ein Kreislauf zwischen Material und Idee (Form) vor, da nicht nur die Form das Material prägt, sondern auch in der Umsetzung durch das Material neue Ideen generiert werden, sodass Form und Material sich wechselseitig vorantreiben. Diesem evolutionären Aspekt der künstlerischen Arbeit am Objekt wird die Anforderung nach Einfachheit der Form entgegengestellt. Die reduzierte Formensprache dient dazu das Material als Inhalt und die Details hervorzuheben, um so die Bedeutung von jenem abermals zu betonen. Hinter der einfachen Erscheinung steckt aber ein langer Prozess der Ausarbeitung und Adaption, sodass die oberflächliche Simplizität perfekt gelingen kann. All dies imitiert wiederum Natur und ihre vermeintliche Einfachheit, die lange, komplexe Entstehungsprozesse verdecken, durch die erst ein natürliches Objekt werden konnte, was es ist. Analog zur Prozesshaftigkeit des Natürlichen betont Fürst durch die künstlerische Reproduktion jener die Gewordenheit der sozialen Strukturen und zeigt ihre Kontingenz auf.
Wie gesellschaftlich mit Natur oder miteinander umgegangen wird, ist Ergebnis eines noch immer offenen, vielschichtigen Prozesses, in den interveniert werden kann und muss. Hier fungiert die angewandte, kritische künstlerische Praxis als (Wieder-)Aneignung einer Natürlichkeit, die gegen die bestehenden Verhältnisse eingreift, indem sie der Natur ihre
Bedeutung wieder verleiht.

transformation // nature
Bei den Keramikobjekten der Serie „Metamorphose“ stehen Geometrie, schlichte Formen und eine klare, unverkennbare Ästhetik einerseits organischen Strukturen gegenüber und andererseits in einem Verhältnis zueinander. Angetrieben davon die Zweckmäßigkeit (Telos) eines Objekts zur Transformation zu bewegen, modelliert Fürst die abgegossene Form, indem sie eine zusätzliche Schicht aufträgt, händisch bearbeitet und verwandelt somit die Vase als Massenprodukt in ein Unikat. Es entsteht so ein Verweisungszusammenhang zwischen den Schichten, der die Metamorphose des Alltagsgegenstands in ein Kunstobjekt reflektiert und transparent darstellt. Auf diese Weise wird der Prozess selbst sichtbar gemacht, wobei gleichzeitig der Gegenstand noch immer zweckhaft Verwendung findet (die Vase als Vase) und sich so das Objekt an die Schnittstelle zwischen Kunst und Design, Handwerk und Industrie sowie Unikat und Massenprodukt ansiedelt. Ein Zickzack der Bedeutung und des Kontextes.

Während die Künstlerin in „Metamorphose“ natürliche Prozesse in eine kulturelle Praktik übersetzt und gesellschaftliche Kategorisierungen unterläuft, untersucht sie in „Korallenbleiche“ die Wechselbeziehung von Natur und Gesellschaft sowie die
Auswirkungen der einen auf die andere. Sie bezieht sich hierbei auf das durch den Klimawandel vorangetriebene Ausbleichen von Korallenriffen und deren Absterben sowie der damit einhergehenden Erwärmung der Meere. Im Zuge dessen verlieren sie nicht nur ihre prächtige Farbe, weiters ist der Lebensraum unzähliger Tierarten gefährdet. In diesem Zusammenhang entstand eine weiß gehaltene Welt aus Keramik, die als Dekorationsgegenstand sowie als Ausstellungsinstallation dient. Die an Korallenriffen nachempfundenen Figuren befassen sich mit dem Verfall dieses Ökosystems, indem manche Stücke bereits abgestorben und zerfallen, andere noch gut erhalten sind, und machen somit auf die akuten Folgen des Klimawandels aufmerksam.

Credits v.l.n.r.: byware | Isabella Fürst | Isabella Fürst

Mit „Natur x Porzellan“ versucht Fürst neue Materialien durch Experimente mit Stein, Muscheln oder Sand für ihre künstlerische Arbeit zu finden und für zukünftige Projekte verfügbar zu machen. Speziell stellt sie sich die Frage, wie diese Stoffe mit rohen bzw. gebrannten Porzellan sowie Glasuren agieren und so als neue Inspirationsquelle dienen können.

(re)production // society
Fernab der Keramik setzt sich die Künstlerin in „Anfang und Ende“ mit einem anderen natürlichen Rohstoff, Holz, und seiner Entfremdung in der gesellschaftlichen Produktion auseinander. Sein Ende findet Holz in der Fabrikation zu einem kostengünstigen Produkt: der Spanplatte. Dabei werden Reste zu kleinen Stücken zerhackt und miteinander verpresst. Kontrapunkt hierzu bildet die Entstehung der Rinde als Schutz des Holzes am Anfang seines Zyklus. Um den Bearbeitungsprozess fortzusetzen und den vermeintlichen Anfang und Ende erneut zu verbinden, kerbt Fürst händisch die Oberfläche einer industriell hergestellten Spanplatte und prägt ihr eine Rindenstruktur ein. Zur Sprache gebracht wird das der
Zirkulation inhärente Spannungsverhältnis von Gesellschaft und Natur und den jeweiligen Produktionsweisen. Die Dauer der Bearbeitung ergänzt das Werk um eine zeitliche Bedeutungsdimension. Sie gemahnt an die lange Zeit, die ein Baum zum Entstehen benötigt, der Reproduktionszeit des Rohstoffs Holz, im Gegensatz zur kurzen Verarbeitungszeit in den Produktionsstätten.

In „1:28“ reflektiert Fürst die Kehrseiten des Konsums und damit im Zusammenhang die schnelllebige und kritisch zu betrachtende Modeindustrie, insbesondere das Phänomen von Fast Fashion, und problematisiert die zeitliche Beschleunigung in einer Konsumgesellschaft. Während Slow Fashion auf nachhaltige, wertige und faire Mode sowie bewussten Konsum abzielt, produzieren seit der Jahrtausendwende H&M, Zara und Co billige und schnelle Massenmode, die weder gut für unsere Umwelt noch den Menschen ist. Die Auswirkungen, die damit einhergehen, macht die junge Künstlerin in ihrer eindrucksvollen Installation bewusst. Eingehende Recherche zeigt, dass der Mensch durchschnittlich in seinem gesamten Leben über eine Tonne Kleidung verbraucht, woraus sich ca. 84 Liter Asche aus der Verbrennung dieser ergeben. Demgegenüber bleibt bei der Verbrennung des menschlichen Körpers nur rund drei Liter übrig. Ein Körper produziert demnach im Maßstab 1:28 zu seiner
eigenen Asche Verbrennungsreste von Kleidung im Laufe seines Lebens. 28 (= 84/3) aus Keramik gegossene Urnen zu je drei Liter Fassungsvermögen visualisieren die Überreste der Kleidung, die ein Mensch in seinem Leben hinterlässt. Die Absurdität dieses Umstands liegt in den Größenverhältnissen. Außerdem finden sich auf dem Deckel der Gefäße Verbrennungsreste unterschiedlicher Textilmaterialien. Dies soll zur Schau stellen, welche Werkstoffe, zu großen Teilen Plastik, von uns am Körper getragen werden und wir uns so immer mehr von Natur verabschieden.

Credits v.l.n.r.: Benjamin Rößler | Nikolaus Korab | Nikolaus Korab

Mit dem feministischen Projekt „unrasiert“ untersucht Fürst, warum weibliche Körperbehaarung immer noch ein großes gesellschaftliches Tabu ist und fördert mit den kleinen Objekten Niederschwelligkeit, offene Kommunikation und Aufmerksamkeit in Hinblick auf dieses Thema. Die vier Keramikarbeiten liegen gut in der Hand, sind bestückt mit einer unterschiedlichen Anzahl von Echthaaren, erinnern an Tools, die von gesellschaftlich dominanten Rollenbildern ausgelöstem Stress vorbeugen sollen und helfen diesen abzubauen bzw. die Nerven zu beruhigen. Von rechts nach links lassen sich die verschiedenen Intensitätsstufen vorfinden: Als Startpunkt bietet ein Objekt mit wenig Haaren ein erstes Kennenlernen bis hin zu dem vierten, das komplett mit Haaren bedeckt ist. Dabei möchte die Künstlerin das Gefühl von Eckel und Unbehagen, dass viele in Zusammenhang mit Körperbehaarung haben, aus dem Weg räumen und eine größere Toleranz vorantreiben.

Credit: Benjamin Rößler

Autorin: Paula Marschalek