Bianca Ion, in Rumänien geboren und in Oberösterreich aufgewachsen, spinnt die klassische Malerei weiter und versucht über die der Leinwand gesetzten Grenzen hinaus zu denken, indem sie installative, räumlich wirkende Elemente auf diese platziert. Sie untersucht die plastische Darstellbarkeit von Bildern, beschäftigt sich eingehend mit dem Spiel der Dimensionen und hinterfragt die Differenzierung der verschiedenen Medien. In ihren formal minimalistischen Arbeiten reflektiert die Künstlerin komplexe Themen, große Fragen der Menschheit sowie die Verfasstheit der menschlichen Psyche.
Bevor sich Ion der bildenden Kunst zuwendete, schloss sie ein Architekturstudium ab und arbeitete viele Jahre in dieser Branche, woher auch die Vorliebe zum Handwerk, das Auge fürs Detail und das Interesse zur Räumlichkeit herrührt. Nachdem die zu bearbeitenden Themen für sie klar wurden, startet der künstlerische Prozess mit maßstabgetreuen Skizzen,
um die Proportionen und Raumwirkung greifbar zu machen. Im nächsten Schritt wird die innere Vision auf die Leinwand appliziert. Dabei spielen Baumaterialien wie Nägel oder Holz eine Rolle, die effektvoll auf die weißen, manchmal auch grundierten Leinwände fixiert werden und dynamische Abbildungen ergeben. Gerade der Kontrast zwischen dem weichen
Stoff und dem harten Metall ist in ihrer künstlerischen Praxis bedeutend. Die Leinwand wird hier nicht nur als Trägermaterial bespielt, sondern agiert als eigenständiges Element der Komposition, die spitzen Nägel sind als Gegenspieler zu verstehen und regen im metaphorischen Sinne dazu an die Sprache des Materials zu erkunden. Ion geht es hier um die Wechselwirkungen zwischen Empfindungen, Wahrnehmungen sowie Gestaltung und Reflexion, um ein haptisches Erleben in einer schnelllebigen, konsumorientierten und durch das Internet geprägten Gesellschaft zu evozieren.



Die Gegensätzlichkeit, die formal durch die künstlerische Arbeit zum Ausdruck kommt, stellt sich speziell in den feministisch inspirierten Serien „Femme I-III“ und „Be A Lady (They Said)“ auch thematisch dar. Es sind vor allem Klischeevorstellungen, widersprüchliche Ideale aus Werbung und Social Media sowie gesellschaftliche Normen, mit denen Frauen* tagtäglich konfrontiert sind. Ein angeblich freies System zwängt jene dennoch in vorgegebene Rollen, so wird das unsichtbar scheinende Korsett immer enger geschnürt. Diese Unvereinbarkeiten treten gestalterisch hervor, so sind es kontrastierende Materialien, die aufeinandertreffen und beim Betrachten eine körperhaft-plastische sowie räumliche Illusion erzielen. Stets von Klarheit sowie Struktur geprägt, greifen ihre Werke in den Raum ein und können so als symbolisches Zeichen, als Aufbegehren gegen das patriarchale, rigide System gesehen werden.




Andere Werke erinnern an Lucio Fontanas Schnittbilder, wenn sich die Künstlerin einer ähnlichen Herangehensweise verschreibt. Sie schneidet die Leinwand ein und kehrt so vorher nicht sichtbare Schichten hervor. Eigentlich nicht wahrnehmbare, körperliche Prozesse des Unbewussten werden ans Tageslicht gebracht und geben dem Individuum eine vorher nicht vorhandene Tiefe, deren Grund nicht artikulierbar scheint. Die Komplexität der Welt zu fassen und all die Zusammenhänge zu verstehen kann für den*die Einzelnen überfördernd sein. Durch die formvereinfachte und reduzierte Weise macht die Künstlerin auf solche Bewusstseinsprozesse aufmerksam.
Ions Arbeiten verleihen der Leinwand auf verschiedene Arten eine Räumlichkeit und befreien diese so aus lange währenden Konventionen. Der Bruch mit dieser bietet ihr den Raum zu einem dynamischen Spiel, das den Materialien zu neuem Ausdruck verhilft.
Paula Marschalek über die künstlerische Praxis von Bianca Ion, 2022.
Fotos (c) Bianca Ion.