Sexualisierung & Selbstbestimmung

Mit dem breit angelegten Projekt “Sexualisierung & Selbstbestimmung” wird auf kritische Art und Weise der titelgebende Themenkomplex anhand unterschiedlicher Sujets analysiert. Auch 2021 ist die Gesellschaft noch geprägt von patriarchalen Strukturen, die viel Platz für Ungleichgewichte lassen. Geschlechtsspezifsche Vorurteile durchdringen unser Leben und bringen uns dazu, zwei Mal darüber nachzudenken, was wir anziehen oder welchen Weg wir heim nehmen.
C’mon – muss das wirklich sein?

Auf der Parallel 2021 werden die Werke der Künstlerinnen Julia Bugram und Gloria Dimmel in Dialog gesetzt, kuratiert von Paula Marschalek & Alexandra Steinacker für den kuratorischen Verein C/20. Sie zeigen in ihrer Diversität und Vielfältigkeit unterschiedliche Facetten zum Überthema „Sexualisierung & Selbstbestimmung“ auf und laden zur kritischen Refexion ein.

Gloria Dimmel thematisiert ganz nach dem Motto „They come in all shapes and sizes“ das noch immer vorhandene Tabuthema der weiblichen Sexualität und der Vulva. Während Gloria in ihrer Privatwohnung in Wien normalerweise Abdrücke von Vulven anfertigt, werden auf der Parallel exklusiv zwei Termine angeboten. Viele Frauen empfnden Scham für ihre Geschlechtsteile, mehr als 200 Millionen der heute lebende Mädchen und Frauen – aus 30 Ländern – haben sich kosmetischen Operationen unterzogen, um ein Ideal zu erreichen, dass es vielleicht gar nicht geben sollte, denn jede Vulva
ist einzigartig und besonders. Mit ihrem spielerischen und interaktiven Ansatz bringt Gloria Gespräche ins Rollen, schaft Verbindungen und regt zu einer selbstbestimmten Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eigenen Körper an.

Julia Bugrams Werke und Projekte suchen den Diskurs mit dem Publikum und stellen unter anderem gesellschaftliche (patriarchale) Gegebenheiten in Frage. Die zahlreichen und diferierenden Sujets zeigen eine intensive Auseinandersetzung mit dem übergeordneten Themenkomplex „Sexualisierung & Selbstbestimmung“ und laden zur kritischen Refexion und Diskussion ein. So sind Julias Werke von einem erzählerischen Charakter geprägt, der eben genau auf diese Thematik verweist. Die großformatigen Zeichnungen aus der Serie bestehen je aus einem Positiv und Negativ, die einerseits auf kunsthistorische Sujets referieren, aber doch in neue, zeitgenössische Kontexte gesetzt werden und andererseits eine freigewählte selbstbestimmte, starke, mitunter auch wütende Pose zeigen.

Credit: Jolly Schwarz & Gloria Dimmel

Sich selbst zum Affen machen. Über “Cut out Monkey” von Ina Loitzl

Ina Loitzl widmet sich in ihrer künstlerischen Praxis sozial-gesellschaftlichen Problemen sowie feministischen Themen und bricht humorvoll längst existierende Klischees sowie Tabus auf, insbesondere im Zusammenhang mit dem weiblichen Körper und der Position der Frau in der Gesellschaft. Künstlerisch arbeitet sie vorwiegend mit Video, Textil und Scherenschnitten, wobei auch die Auseinandersetzung mit dem Raum eine große Rolle spielt.
Performatives etabliert sich immer weiter in ihrem künstlerischen Kosmos, so steigt sie zum Beispiel im Rahmen von „Kunstboxen“ als Kunstfigur A in den Ring und kämpft gegen die eigene Motivation, die Rolle als Frau im Kunstbusiness sowie die Konkurrenz der Kollegenschaft oder verwandelt sich in ihrer Serie „Cut-Out Monkey“ in einen Gorilla, um auf die prekäre Situation vieler Künstler*innen aufmerksam zu machen.

„Mach dich zum Affen“ – diese Aussage kommt bei „Cut-Out Monkey“ von Ina Loitzl doppelt zum Einsatz, so wählte die Künstlerin das Affenkostüm, um einerseits Aufmerksamkeit für künstlerisches Schaffen im öffentlichen Raum zu erregen und
andererseits die Nähe des Affen zum Menschen auszudrücken. Gleich dem Gorilla im Tiergarten, kann die Künstlerin in ihrem Kostüm beim Schaffensprozess beobachtet werden. Diese Möglichkeit bot sich jedoch auch ihr, so konnte sie das Geschehen um ihren gläsernen Käfig wahrnehmen und begann mit ihrer Umwelt jenseits der Scheibe zu interagieren. Im Verlauf des Projekts rückte der kommunikative Akt mit vorbeigehenden Passant*innen und die Interaktion immer stärker in den Fokus der Künstlerin. Hierdurch wurden verschiedenste Reaktionen von Seiten des Publikums hervorgerufen, beispielsweise beleidigende Äußerungen, kraftvolles Schlagen gegen die Scheibe, aber auch die Gabe von Bananen, Aufforderung zu Selfies und Nachrichten.

Mit der Figur des Affen und dem Einsatz der Gorilla-Maske öffnet sich eine Referenz zum aktivistischen Künstlerinnenkollektiv Guerilla Girls, die seit 1985 mit ihrer Kunst in den Kunstbetrieb intervenierten und die diesem inhärente geschlechterspezifische Bevorzugung von Museen und Institutionen im Allgemeinen aufzeigten. Im Anschluss daran will die Künstlerin mit ihrer Performance zur Reflexion über normalerweise opake Prozesse bzw. Benachteiligungen auffordern. So geht es ihr um die Position der Frau bzw. Künstlerinnen im künstlerischen Feld, deren Benachteiligung neben der gesellschaftlichen Zuschreibung von Pflichten (Kinder, Erziehung, Care-Work etc.) am Kunstmarkt, der Bezahlung, und möglichen Messeteilnahmen zutage tritt. Diese diskriminierenden Mechanismen versucht sie in den Blick der Öffentlichkeit zu tragen.

Bei den Wandinstallationen steht weniger das fertige Werk im Vordergrund als vielmehr der Entstehungsprozess und die Arbeit in diesem: ein Moment des künstlerischen Schaffens, welcher selten einsehbar ist. Mittels Cutout-Technik schneidet die Künstlerin Muster sich in die Länge ziehender Spiralen aus monochromer Folie, die tagtägliche Veränderung bzw. Produktion der Installation steht im Fokus und zeigt so Parallelen zur zu ständig steigernden Produktivität in unserer schnelllebigen Gesellschaft. Seit 2019 wurde das Projekt bereits in drei österreichischen Städten (Wien, Salzburg, Klagenfurt) gezeigt, wobei der Prozess und die Entstehung der Wandinstallation jedes Mal einen anderen Outcome hatte, gleich blieb einzig der ‚Weg‘ dorthin.

Während der zweimonatigen CUTOUT-Wandtattoo-Performance am Karlsplatz in Wien transformierte sich die Künstlerin regelrecht zum Tier, das sie darstellte, agierte auch als solches und erzielte dadurch eine gewisse Neugierde und Niederschwelligkeit zur Kunst. Besonders wichtig ist es Loitzl durch den „Monkey“ komplexe Themen aufzugreifen, performativ zu behandeln, sodass Transparenz und Zugänglichkeit möglich werden. Bei der Performance am Karlsplatz in Wien zeigte sie zusätzlich einen Film über die prekäre Lage von Kunstschaffenden und versuchte so diese wichtigen und in der Branche oft unter Verschluss gehaltenen Themen offen zu kommunizieren. In diesem gesellschaftspolitischen Diskurs tun sich Fragen auf, wie „Kann manfrau eigentlich von Kunst leben?“ oder „Was ist denn zu viel?“ Zu zeigen, dass es sich um gesamtgesellschaftliche Herausforderungen handelt, mit denen manfrau nicht allein ist, denn viele haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, scheint ein Hauptanliegen zu sein. Sich zu verbünden und gemeinsam dagegen anzutreten, wäre sicherlich ein Wunschgedanke, der die allseits bekannte Situation vereinfachen würde. Gemeinsam sind wir stärker!

Paula Marschalek über “Cut-out Monkey” von Ina Loitzl, 2022

Intervention im Raum. Bianca Ion

Bianca Ion, in Rumänien geboren und in Oberösterreich aufgewachsen, spinnt die klassische Malerei weiter und versucht über die der Leinwand gesetzten Grenzen hinaus zu denken, indem sie installative, räumlich wirkende Elemente auf diese platziert. Sie untersucht die plastische Darstellbarkeit von Bildern, beschäftigt sich eingehend mit dem Spiel der Dimensionen und hinterfragt die Differenzierung der verschiedenen Medien. In ihren formal minimalistischen Arbeiten reflektiert die Künstlerin komplexe Themen, große Fragen der Menschheit sowie die Verfasstheit der menschlichen Psyche.

Bevor sich Ion der bildenden Kunst zuwendete, schloss sie ein Architekturstudium ab und arbeitete viele Jahre in dieser Branche, woher auch die Vorliebe zum Handwerk, das Auge fürs Detail und das Interesse zur Räumlichkeit herrührt. Nachdem die zu bearbeitenden Themen für sie klar wurden, startet der künstlerische Prozess mit maßstabgetreuen Skizzen,
um die Proportionen und Raumwirkung greifbar zu machen. Im nächsten Schritt wird die innere Vision auf die Leinwand appliziert. Dabei spielen Baumaterialien wie Nägel oder Holz eine Rolle, die effektvoll auf die weißen, manchmal auch grundierten Leinwände fixiert werden und dynamische Abbildungen ergeben. Gerade der Kontrast zwischen dem weichen
Stoff und dem harten Metall ist in ihrer künstlerischen Praxis bedeutend. Die Leinwand wird hier nicht nur als Trägermaterial bespielt, sondern agiert als eigenständiges Element der Komposition, die spitzen Nägel sind als Gegenspieler zu verstehen und regen im metaphorischen Sinne dazu an die Sprache des Materials zu erkunden. Ion geht es hier um die Wechselwirkungen zwischen Empfindungen, Wahrnehmungen sowie Gestaltung und Reflexion, um ein haptisches Erleben in einer schnelllebigen, konsumorientierten und durch das Internet geprägten Gesellschaft zu evozieren.

Die Gegensätzlichkeit, die formal durch die künstlerische Arbeit zum Ausdruck kommt, stellt sich speziell in den feministisch inspirierten Serien „Femme I-III“ und „Be A Lady (They Said)“ auch thematisch dar. Es sind vor allem Klischeevorstellungen, widersprüchliche Ideale aus Werbung und Social Media sowie gesellschaftliche Normen, mit denen Frauen* tagtäglich konfrontiert sind. Ein angeblich freies System zwängt jene dennoch in vorgegebene Rollen, so wird das unsichtbar scheinende Korsett immer enger geschnürt. Diese Unvereinbarkeiten treten gestalterisch hervor, so sind es kontrastierende Materialien, die aufeinandertreffen und beim Betrachten eine körperhaft-plastische sowie räumliche Illusion erzielen. Stets von Klarheit sowie Struktur geprägt, greifen ihre Werke in den Raum ein und können so als symbolisches Zeichen, als Aufbegehren gegen das patriarchale, rigide System gesehen werden.

Andere Werke erinnern an Lucio Fontanas Schnittbilder, wenn sich die Künstlerin einer ähnlichen Herangehensweise verschreibt. Sie schneidet die Leinwand ein und kehrt so vorher nicht sichtbare Schichten hervor. Eigentlich nicht wahrnehmbare, körperliche Prozesse des Unbewussten werden ans Tageslicht gebracht und geben dem Individuum eine vorher nicht vorhandene Tiefe, deren Grund nicht artikulierbar scheint. Die Komplexität der Welt zu fassen und all die Zusammenhänge zu verstehen kann für den*die Einzelnen überfördernd sein. Durch die formvereinfachte und reduzierte Weise macht die Künstlerin auf solche Bewusstseinsprozesse aufmerksam.

Ions Arbeiten verleihen der Leinwand auf verschiedene Arten eine Räumlichkeit und befreien diese so aus lange währenden Konventionen. Der Bruch mit dieser bietet ihr den Raum zu einem dynamischen Spiel, das den Materialien zu neuem Ausdruck verhilft.

Paula Marschalek über die künstlerische Praxis von Bianca Ion, 2022.
Fotos (c) Bianca Ion.